Amok in Farbe und Geschichte

Rund um das Theaterstück «I Feel Like God and I Wish I was» bot der Südpol in dieser Woche ein Rahmenprogramm unter dem Titel «Nullstunden». Nach der Diskussionrunde mit Polizeikommandant Beat Hensler und Markus Lüchinger von der Dienststelle Volkschulbildung des Kantons Luzern sowie der etwas fragwürdigen Konzertnacht Exit Music (Luzerner Musiker interpretierten Songs, die von Amokläufern gehört worden waren) gab es am Sonntag zweierlei.

Den Anfang machte der Film «Elephant» von Gus Van Sant, ein lose an das Columbine-Attentat angelehntes, bildgewaltiges Werk. In langen, sehr ruhigen Sequenzen wird quasi im Kanon das Konglomerat High School abgebildet. Mit denen, die sind und singen, wie sie sollen, und denen, die das nicht können. Und den beiden, die eines Tages alles zerstören. Sehr empfehlenswert und eine ausgezeichnete Ergänzung zum in der Grundausrichtung ähnlichen Theaterstück. Danach gab es einen Vortrag von Heiko Christians, Professor für Medienkulturgeschichte an der Universität Potsdam, zu hören. Dabei wurden zwei Aspekte behandelt: Amok als Medienphänomen sowie Amok im geschichtlichen Kontext. Im ersten Teil waren dabei insbesondere die Gedanken zur Rolle, welche die Medien in den Händen des Täters spielen, hochinteressant. Wie er sich zurückzieht, sich zum Gott einer eigenen, wiederum von Medienbildern beeinflussten, fiktiven Schwarz-Weiss-Welt macht, sich selbst dabei ebenfalls neu konstruiert und aus dieser Welt wiederum über Medien heraustritt. Die Täter hinterliessen in der Regeln eine Fülle an Material: Videos, Theaterstücke, Manifeste. Der zweite Teil zu Geschichte und Herkunft war ebenfalls sehr hörenswert. Das Wort Amok kommt demnach aus dem malaiischen – aus dem südostasiatischen Raum also –, wo dieser schon über Jahrhunderte bekannt und eine Art legitimierter letzter Gegenreflex zu einer (anhaltenden) Ehrkränkung ist. Erklärungsansätze europäischer Beobachter wechselten dabei im 19 Jahrhundert von der einfachen Antwort Opiumgebrauch hin zu den Generalisierungen der Rassenlehre. Es sei eben eine Eigenschaft des Malaien. Als ab 1850 erste Sanatorien in den Kolonien entstanden, wurden Täter schlicht zu pathologischen Einzelfällen erklärt. Der gesellschaftliche Kontext verschwand völlig aus dem Blickfeld. Um noch einmal die Brücke zu den Medien zu schlagen, eine bemerkenswerte Information: Christians erzählte, wie ihm auffiel, dass jeder Reisebericht eines Europäers fast schon zwingend eine Amokgeschichte enthielt. Und war er noch erlogen oder abgeschrieben. Hauptsache sensationell. Gerade bei einem schwierigen Thema ist so ein Rahmenprogramm eine sehr gute Sache. Hoffentlich kann der Südpol bei Milo Raus kommendem Stück über den Völkermord in Ruanda im Frühjahr 2012 ähnliches bieten. Er ist nämlich auch ein super Kino.