Altdorfer Fusionen

Alpentöne. Internationales Musikfestival Altdorf, 14.–16.8.2015: Was war das wieder für ein schönes Gegeige, Gejodel, Georgel und Gebläse. Die 9. Ausgabe des Altdorfer Festivals hat das junge Musikschaffen ins Zentrum gestellt, wo traditionell gespielt wird und aber auch sehr viel fusioniert: Altes mit Neuem, Eigenes mit Fremden. Gut so!

(Bilder: Alpentöne, scriptum.ch; Balgerei: I.P. Hone)

Filmregisseur Fredi M. Murer, Jahrgang 1940, gebürtiger Nidwaldner, in Altdorf ausgewachsen, ist geladen, um am Freitag im theater(uri) (aka Tellspielhaus) eine launige Eröffnungsrede zu halten. Die Alpentöne datiert er nicht auf die Festivaljahre, er geht ganz weit zurück, Stichwort «Alpenfaltung», als sich das Gebirge überhaupt erst erhob und, wie man sich imaginieren kann, ganz besondere Töne erzeugte. Murer diskutiert die Begriffe «Heimweh» und «Fernweh» und kommt schliesslich zu neueren Alpentönen, jene, die in Altdorf von Bahn und Autobahn kreiert werden.

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Die Ehre des Eröffnungsgigs geht an Österreich, genauer an das mit vier Musikerinnen und einem Musiker besetzte Truppe mit dem Namen Alma. Eine fulminante Angelegenheit, wie die fünf, die alle auch singen können, Grenzen überschreiten, Altes frisch darbringen, Eigenes, Neues im Volkston mit kompositorischem und spieltechnischem Raffinement vortragen, cool, charmant, gekonnt, nie akademisch abgehoben. Sie gehören zu den vielen Jungen, die heuer am Festival «Dampf machen». Genau im Sinne von Johannes Rühl, künstlerischer Leiter, der, wie er einmal sagt, bei dieser 9. Ausgabe auf die früheren Quoten verzichtet hat. Also nicht: Alles aus den Alpen, vom französischen Süden über Italien, die Schweiz und Österreich bis nach Slowenien, nicht alles berücksichtigen müssen, sondern auszuwählen, was der gute Jahrgang hergibt. Alma sind ein schönes Beispiel dafür, mit einem Mix aus Instrumentalem, partiell Gejodeltem und Gesungenem, Heimisches und Fremdes fusionierend, vom Südtirol bis nach Skandinavien hinauf, von Marokko bis London. Schön: die vielen Geigen (d.h. 3). Die Namen: Julia Lacherstorfer (Geige, Gesang), Evelyn Mair (Geige, Gesang), Matteo Haitzmann (Geige, Gesang), Marie-Theres Stickler (Diatonische Harmonika, Shruti Box, Gesang), Marlene Lacherstorfer (Kontrabass, Harmonium, Gesang). Vollrohr kommts noch, als Almas Seelenverwandten von Federspiel, ebenfalls Österreich) mit ins Spiel kommen. Das gesellen sich zu den fünf zusätzlich sieben veritable Bläser. Alma lassen sich auch nachhören, es gibt zwei lohnenswerte Alben («Nativa», 2013; «Transalpin» 2015).

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Der Geigen«trend» setzt sich draussen auf dem Lehnplatz im Festzelt fort. Streichmusik at its best wird geboten von Ds Giiger Bertholds Seefi’s Strichquartett & Reto Grab. Die Quartett-Mitglieder sind akademisch gebildet, was man dem Spiel nicht anmerken muss. Andy Gabriel und Maria Gehrig an den Geigen, Kontrabassist Pirmin Huber sowie auch Schwyzerörgeler Reto Grab sind aus der Innerschweiz, irgendwie auch Bratschistin Madlaina Janett, die zwar dem Engadiner Volksmusik-Clan angehört, aber auch eine Luzerner Hochschul-Absolventin ist (allerdings nicht Musik, sondern Design & Kunst). Den Quartett-Namen haben sie vom Muotataler Geiger eben mit Namen Giiger Bertholds Seefi, seine Kompositionen sind gewichtiger Teil im Repertoire.

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Die Hochschul-Präsenz fällt auf beim diesjährigen Alpentöne-Jahrgang. Nicht nur Ehemalige sind da zugange, auch die Schule selber tut es, zum Teil in Kollaborationen bzw. internationalen Meetings (konkret: Limerick und Helsinki). Ein Ergebnis innerhalb des Luzerner Forschungsprojekts zu «Broadcasting Swissness» ist das Programm «Die Schweiz auf Kurzwelle – Eine Radioshow». Dafür wurde eigens eine ausgewachsene Bigband zusammengestellt, 20-köpfig, die sich an die Musik macht, wie sie vom Schweizer Radio-Unterhaltungsorchester, gegründet 1946 und heute natürlich nicht mehr existent, über den Äther via Beromünster in die nähere und weitere Welt hinaus getragen wurde. Um das Schweizer Volk wie aber auch die Auslandschweizer mit einem Mix aus Schlager, Volksmusik und Jazz zu beglücken. Wie das wirkte, zeigen im theater(uri) die authentischen Hörerbrief-Müsterchen, die Moderator Samuel Zumbühl zum Besten gibt, mit Absendern in Argentinien oder Südafrika. Die Musik ist so etwas wie swingig-schunkeliger Crossover. Gespielt werden übrigens Originalpartituren, es handelt sich also um eine Art musikalisches Re-Enactment des damaligen Materials. Oder, wie es Hochschul-Direktor Michael Kaufmann einführend erläutert: als «Remake, aber auch Neuinterpretation». Zu den Streichern und Bläsern gesellen sich bei Gelegenheit Handorgel und Hackbrett sowie Gesang. Bei der Rekonstruktion angewandter Schweizer Unterhaltungsmusik singt auch Samuel Zumbühl, der auch «dirigiert» und einmal gar löffelet. Er ist ein Meisterörgeler vor dem Herrn (und Hochschul-Dozent). Am Samstag tritt er selber für einmal nicht praktizierend-aktiv in Erscheinung. Markus Flückiger hat zur Abwechslung komponiert: Vier Versuche über die Blasmusik von Markus Flückiger heisst das Programm, das vom 30-köpfigen festivaleigenen Alpentöne Blasorchester bestritten wird. Drei Sachen gabs schon, eine Komposition wird in Altdorf uraufgeführt als Auftragsarbeit von Alpentöne – getragen bis lüpfig die Klangcharaktere, angerichtet in spannender Dynamik, mitunter mit schrägem Jazzeinschlag. Blech- und Holzgebläse, Klavier, Drums, Perkussion (darunter Chlefel und Löffel) – es geht auch so.

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Der Gang in die Pfarrkirche St. Martin beschert einem eine besondere musikalische Begegnung. Die Appenzeller Original Streichmusik Geschwister Küng spielt Traditionelles, scheut sich aber nicht, da mal Fremdes hineinzuschmuggeln, seien das ein paar Takte lang griechischen Sirtaki, sei das Klassik. Das Quintett macht in der Kirche gemeinsame Sache mit Markus Kühnis. Erst abwechselnd, sie unten, er oben auf der Orgelempore, dann gemeinsam (die fünf schleppen alle ihre Instrumente die Treppe zur Empore hinaus). Während Kühnis wohl für diesen Ort erstmalig recht fetzig-unterhaltende Stücke auf der Kirchenorgel intoniert, gibt’s gegen Schluss «richtige» Klassik: Wenn die Appenzeller Innerrhoder mitmachen, wird aus Bachs «Toccata» in der Bearbeitung durch Hackbrettler Roland Küng die «ToccatAI».

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Noch mehr Handorgel. Erstmals ist dieses Jahr das Sacklager (ehemaliges Getreidemagazin) ein Festivalort, etwas abseits gelegen, hinter dem Bahnhof im Gewerbegebiet zwischen Bahnlinie und Autobahn. Das sind, auf drei Stockwerken, riesige Hallen, die 2015 für den Bereich «Klangperformance/Installation» genutzt werden. Zum Beispiel «Balgerei», die Installation von Urban Mäder und Peter Allamand. Worum es geht: «8 Akkordeons, 8 Staubsauger, 1250 Quadratmeter und 36 Säulen». Der Raum selber spielt als halbe Miete bereits eine gewichtige Rolle (Hall, Architektur). Und die 8 Akkordeons spielen, nicht von Geisterhand bewegt, sondern fix auf Stühlen montiert und von je einem Staubsauger belüftet, während alles von einem Laptop gesteuert wird: eine komponierte Schlaufe, wo nicht nur die Töne bzw. Akkorde in ihrem Ablauf relevant sind, sondern ebenso das Keuchen der Bälge und das leise Saug-Surren und eben die Wirkung im Raum. Es werden ausrangierte Instrumente, von den Menschen verlassen, durch eine ausgeklügelte Technik zum neuen reizvollen Ensemble-Spiel wiederbelebt.