Aktion Freiraum: Kulturoffensive wider den Erstickungstod

An Silvester feierten 600 Anhänger der Aktion Freiraum im Bau 611 auf dem Viscose-Areal in Emmenbrücke ein Fest und Konzerte. Die «Neue Luzerner Zeitung» berichtete über die «illegale Party», die Junge SVP will jetzt den «Linksextremismus stoppen» und laut Eigenangaben der Aktion Freiraum verlief der Abend «ohne nennenswerte Zwischenfälle und friedlich – fernab konsumorientierter Partyideologien». (Selbst Liegenschaftsbesitzer Alfred Bosshard räumte ein, dass das Gebäude keineswegs chaotisch hinterlassen wurde.) Aus aktuellem Anlass hier der Artikel und Kommentar aus dem Kulturmagazin. Denn: Der Silvester auf dem Viscose-Areal dürfte der Auftakt eines bunten Aktion-Freiraum-Jahres werden und ist Ausdruck einer wieder wachsenden Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Stadtplanung.

Die Geduld ist zu Ende, die Aktion Freiraum sieht in den Verhandlungen mit der Stadt keinen Sinn mehr. Das Credo heisst: Zurück auf die Strasse, wo alles seinen Anfang nahm. Es wird diskutiert in Luzern, über Verdrängung von Kultur an den Rand, über das richtige Theater, über die Salle Modulable – die aufgeheizte Stimmung will die Aktion Freiraum aufgreifen. Denn in den letzten Monaten war es ruhig um die einst so aktive und kunterbunte Bewegung. Die Verhandlungen um ein alternatives Zentrum (sprich Boaersatz) stockten, ja blieben sogar seit Monaten aus. Gerüchte über einen Raum beim Eichhof stellten sich als falsch heraus. Innerhalb der Gruppe wuchs die Einsicht, dass die Stadt langwierige Verhandlungen sucht und die Aktion am Verhandlungstisch zu ersticken droht. Die Befürworter von Gesprächen fanden weniger Gehör, andere Teile der Bewegung suchten sich eigene Nischen, ein gemeinsames Projekt schien in weite Ferne gerückt. Also musste etwas passieren: Zurück auf die Strasse, sich die Sache erkämpfen. «Die Politik hat nun mal eine andere Geschwindigkeit als eine Bewegung», sagt Sandro Hofstetter. Ich treffe ihn auf einen Kaffee im Arlecchino – ihn, der 2008er-Kulturkopf auf Platz 4. Hofstetter bleibt das Phantom, das die Bewegung verkörpert – wer dahinter spricht ist unwichtig, es sind Stimmen aus dem ebenso pointiert auftretenden wie politisch unfassbaren Ganzen. Der Ton ist wieder kämpferischer, von «Kulturoffensive» ist die Rede, von «Auflehnung gegen die Elitekultur». Konsequenterweise wurde zeitgleich auch der als offizieller Verhandlungspartner gegründete Verein Kulturraum (Kuma 3/09) nach nicht mal einem Jahr wieder aufgelöst. Man will wieder weg von Namen und Gesichtern. Die Aktion Freiraum ist wieder ein loses Netzwerk mit vielen Ideen aber einem klaren Ziel: Ein selbst verwaltetes, alternatives Kulturzentrum, organisiert in flachen Hierarchien. Solange es das nicht gibt, ist die Strasse das Terrain. «Für den Zusammenhalt der Gruppe waren die Verhandlungen Gift. Jetzt ist wieder Platz für anderes, das motiviert die Leute», sagt Hofstetter.

Wann kam der Moment, als die Aktion Freiraum feststellte, die Verhandlungen sind gescheitert? «Es war ein politischer Moment: Als offiziell klar wurde, dass die Frigorex schliessen muss und wir gemerkt haben, dass sich nicht einmal die Kulturchefin Rosie Bitterli-Mucha darum schert und das einfach hinnimmt. Bei der Stadt ist noch keinerlei Einsicht vorhanden, hat kein Umdenken stattgefunden. Diese Gleichgültigkeit kombiniert mit der Tatsache dass die Verhandlungen nicht vom Fleck kamen, liess uns an der Ernsthaftigkeit der Verhandlung zweifeln.» Waren die Verhandlungen ein Fehler? «Im Nachhinein würd ich nicht mehr auf diese Weise verhandeln, wir sind je länger je mehr auf die lange Bank geschoben worden. Es ist tödlich wenn sich eine Bewegung institutionalisieren lässt.» Wie geht's weiter? «Es braucht sicherlich bald wieder ein grosses Zusammenkommen der Aktion Freiraum – eine grosse Demo scheint nur eine Frage der Zeit.» Angefangen durch einen Kreis von ehemaligen Boagängern, will die Aktion Freiraum breiter agieren – sozusagen als Aufruf an alle Unzufriedenen mit der gegenwärtigen Stadtplanung, von der Wagenburg bis zu Theaterschaffenden. «Wir sind kein Grüppchen, das alleine ihr Süppchen kocht», so Hofstetter. Auftrieb hatte die Gruppe 2007 durch die Massenverhaftung im Sonnenberg erhalten mit nationaler Medienpräsenz. «Die Stadt liefert regelmässig Zündstoff, der das Feuer wieder entflammen lässt», sagt Hofstetter. So beispielsweise das nahende Ende der Frigorex, das Verschwinden der Gowa-Halle oder die Debatte um die Salle Modulable. Das seien bloss die Spitzen einer Städteplanung, welche kulturelle Freiräume nachhaltig zerstöre und auf Prestigebauten und Elitekultur aus sei. «Um diese Zusammenhänge aufzuzeigen und dagegen anzukämpfen brauchen wir die Strasse und nicht den Verhandlungstisch», so Hofstetter. Der Weg ist konsequent: Wenn in der städtischen Politik die Prioritäten offensichtlich und wiederholt fernab der Anliegen der Alternativkultur gesetzt werden, bringen Gespräche vorderhand nichts. Da ist für die Aktion Freiraum mit bunten, spontanen Demos und Aktionen auf der Strasse mehr herauszuholen. Dazu kommt wohl, dass die Bewegung nicht gemacht ist für die langwierigen Kompromissfindungen in der Politik – die berechtigten Forderungen der Gruppe können auf anderem Weg zu den Entscheidungsträgern gelangen. Nun ist es aber wichtig, dass die Aktion Freiraum möglichst schnell und auf friedliche Weise wieder auf sich aufmerksam macht und sich auf ihre Stärken besinnt – denn schon lange nicht mehr war die Unzufriedenheit in der (alternativen) Kulturszene grösser. Wenn sie es schafft, diese Stimmung einzufangen und wieder zur führenden Bewegung wird, kann das zu einer nicht zu unterschätzenden Dynamik führen. Andererseits besteht aber genauso die Gefahr, die Glaubwürdigkeit zu verlieren und letztlich als Gesprächsverweigerer dazustehen.

Bilder: Demo gegen die Boa-Schliessung 2007