Abstrahierte Volksmusik als alpenländisches Esperanto – Ho-e-ho!

Altes Rathaus, Gersau, 16.11.2017: Zum 14. Mal geht der «Gersauer Herbst» praktisch ausverkauft über die Bühne. Das Programm reicht von Volksmusik über Blues bis zu Singer-Songwriter mit einer Comedy-Note. An diesem Abend nahm die fünfköpfige Band Alma aus Österreich das Publikum mit auf eine Reise volksmusikalischer Klänge mit ungewohntem Tiefgang.

Kein Mucks war zu vernehmen, keine Handys zu registrieren. 90 Besucherinnen und Besucher lauschten gebannt. Rhythmisch gezupfte Geigen, auch mal geschrummt und natürlich gestrichen, luden in andere Sphären ein. Dazu eine andächtige, mal wilde Harmonika und ein lebendiger Kontrabass. Man verlor sich, begann zu träumen: In einem Moment hüpfend auf einer blühenden Alpenwiese, in einem anderen als Zeugin einer «schnecklichen» Mordszene im Garten. Mit viel Gefühl und Leidenschaft verband das Quintett traditionelle ¾-Takt-«Landler» mit klassischen und freakigen Elementen. Es führte so von der alpinen Idylle in die Tiefen von «Alma», der Seele auf Spanisch.

Alma

Idyllisch lag auch der Ort des Geschehens. Im kleinen Gersau, Kanton Schwyz, am Vierwaldstättersee (gar nicht so weit von Luzern) kamen im alten Rathaus die aufmerksamen Lauscherinnen und Lauscher zusammen. Die Decke aus alten Holzbalken, das gedimmte Licht und der nicht allzu grosse Raum schafften einen heimeligen und wirklich! intimen Rahmen. «Das ist der dichtest besiedelte Konzertsaal, in dem wir je gespielt haben», meinte Julia Lacherstorfer. Dies genossen die Zuschauerinnen und Zuschauer. Viele Stimmen schwärmten von der einzigartigen Atmosphäre, dass man mit Bands, welche sonst vor Hunderten von Leuten spielen würden, hier nach dem Konzert noch einen Schwatz halten könnte. Die Stuhlreihen reichten bis knapp vor die Bühne und die Band gelangte durch einen schmalen Gang entlang der Bar und mitten durchs Publikum auf diese. Ein fast hautnahes Erlebnis.

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«Es gibt keinen Abend, an dem ich nicht selbst von den Darbietungen begeistert wäre», meint Roger Bürgler zum «Gersauer Herbst». Der Herzblutorganisator der alljährlichen Kulturreihe und Inhaber der Firma «kulturwerk.ch» begegnet oft auf Reisen Bands, die er dann ins Programm aufnimmt. Vielfältigkeit sei ihm wichtig. Dabei geht er nach seinem Geschmack und stösst auf rege Zustimmung, was die ausverkauften Konzerte und Besucher*innen  von überall zeigen. «Oeo» – das dritte Album von Evelyn Mair (Gesang, Geige), Marie-Theres Stickler (Harmonika,  Gesang), Marlene Lacherstorfer (Kontrabass, Gesang), Matteo Haitzmann (Gesang, Geige) und Julia Lacherstorfer (Gesang, Geige) mimt einen Jodellaut, einen archaischen Ausspruch der Seele. Jodeln sei eine universelle Sprache und über diese kommunizierten die Fünf immer wieder. Vom Mehrklang zum Einklang, fein und stark.

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Die Leute folgten den zwei Sets mit Faszination, zeitweiliger Irritation und Amüsement. Selten traf man auf solch ungeteilte Aufmerksamkeit. Ein junger Schweizer Volksmusikant äusserte sich positiv über die Tiefe der Musik und mit Erstaunen, dass es dafür ein Publikum gäbe. Auch eine andere Jodlerin schwärmte und betonte die Naturnähe. Alma gelang es somit, den Leuten das Tor zu einer kreativen, «abstrahierten» und gleichzeitig urigen Volksmusik zu öffnen und sie mit reichen, inneren Bildern von fliegenden Kreaturen und «möderndorfer Sommervalsen» zurück zu lassen.