Abend der Gegensätze: Der Freitag am Spoken Word Festival «woerdz»

Südpol, 21.10.2016: Beat Sterchi und Ariane von Graffenried sind wie Tag und Nacht, Gabriel Vetter zeigt den Wert eines durchgearbeiteten Texts und der zweite Teil des Werkauftrags zieht unverstanden am Autor vorbei.  

(Bilder: Patrick Hegglin)

Wie am Freitag liess ich – Journalismus, verzeih; ich kann über diesen Abend nur subjektiv schreiben – mir von Gianna Molinari vom Projekt «Literatur für das, was passiert» einen kurzen Text schreiben. Diese mal zum Thema «Mittleres Kind». Darin steht unter anderem: ein mittleres kind hat manchmal den vorteil, dass es sich bei einem streit nach oben mit dem unteren verbünden kann und umgekehrt es hat aber den nachteil, dass es oftmals gleichzeitig von oben wie unten attackiert wird das sind dann schwierige tage Der gestrige Freitag am «woerdz» war nicht gerade ein schwieriger Tag, aber ohne Stargast doch etwas in Gefahr, vergessen zu werden. Der Publikumsschwund im Vergleich zum Donnerstag mit Laurie Anderson war spürbar, aber zu verkraften. Geboten wurden der zweite Teil der Werkschau und des Werkauftrags. Was das jeweilige Konzept dahinter ist, kann man hier nachlesen. Gross sterben, klein leben Ich möchte Ariane von Graffenried, die den Abend eröffnete, mögen. Wirklich. Ich möchte auch, wie dieser eine Herr im Publikum, tief empfunden aufseufzen, wenn ein Text damit endet, dass ein «Gangster» vor einer Madonnenstatue niederkniet. Ich möchte auch, wie der Typ neben mir, halblaut flüstern «so schön», am Ende eines Texts, in dem eine in geschliffenen Sätzen sprechende Französische Prostituierte auf einen dumm bayernden Pilger trifft. Aber ich kann es nicht. Ich kann nur die Augen verdrehen. Gestern habe ich mich ad hoc an einer Eingrenzung einer «Berner Schule» im Spoken Word versucht. Darin hiess es unter anderem: «Ihre Texte sind oft in Alltagsszenen angesetzt, die aber transformiert oder ins Absurde getrieben werden. Stilistisch kommt das Ganze pathosfrei daher, mit sorgfältig komponierter Leichtigkeit und Dynamik, und einer guten Dosis Humor.» Und tatsächlich moderiert Daniela Dill von Graffenried prompt mit den Worten an: «Ihre Texte wechseln vom Konkreten ins Poetische.» Ariane von Graffenried scheut Pathos aber ganz und gar nicht, weder im Text noch in der Performance. Das ist mutig, und auch erfrischend in einer stilistisch oft tiefstapelnden Schweizerischen Spoken Word Szene. Da werden im Vortrag Wortenden schwer ausgehaucht, da werden intensive Blicke geworfen, da spürt man förmlich den angespannten Bizeps. Nur: Die Texte rechtfertigen die Manierismen nicht. Es sind Texte, in denen Frauen immer Femmes Fatales zu sein scheinen. In denen schwere Symbole bemüht werden, die bloss mit sich selbst aufgeladen sind. Man kann schon «waste laaaand», sagen, aber deswegen ist man nicht T. S. Eliot. Es sind Texte, in denen währenddessen am anderen Ende der Stadt etwas passiert. Jederzeit, so scheint es, könnte irgendwo ein Hund bellen. Es sind Texte, in denen ohne erkennbaren Mehrwert im selben Satz zwischen Deutsch und Englisch hin- und her gewechselt wird. Das klingt dann zum Beispiel so: « [...] als Dunkelheit sich neatly around their shoulders schmiegt.» Ist es der Identitätsverlust in einer globalisierten Welt, der damit dargestellt werden soll? Warum verwendet von Graffenried dann die gleiche Spielerei bei einem Text über ältere Menschen auf Long Island und über Millwall-Hooligan Millie? Ich möchte Ariane von Graffenried wirklich mögen. Aber dann schaut sie bei einer Ansage bedeutungsschwer in die Ferne, sagt: «Emmy Hennings, dä isch für dig» und wird nicht mal rot dabei. Und ich kann es einfach nicht. Danach kam Beat Sterchi, begleitet von Adi Blum am Akkordeon. Beat Sterchi ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von Ariane von Graffenried. Er betont keine Wörter, er rattert sie herunter. Er zielt nicht hoch, er stapelt tief. Er trivialisiert geradezu. Bei Beat Sterchi sagen die Figuren gerne: «So schön.» Immer und immer wieder. Bei Beat Sterchi ist «e hung immer e hung». Seine Texte sind Wortkaskaden, Tongeratter, monomanische Brocken Schweizerischen Füdlibürgertums. Sterchi braucht keine Anspielungen, keine Undergroundsymbolik und Film Noir-Ästhetik. Bei ihm entwickelt sich alles aus sich selbst heraus. Auch Sterchi widmete einmal Texte. Eine «Hommage an zwei grosse Berner», Robert Walser und Kurt Marti, kündigte er an, und schaute seelig lächend etwas schräg herunter. Es fällt mir sehr leicht, Beat Sterchi zu mögen. «Dies ist kein Bauch, dies ist eine Biographie.»dsc_0201

Gabriel Vetter vor und hinter Gabriel Vetter

 Den Abschluss der Werkschau am Freitag bildete der Auftritt von Gabriel Vetter. Vetter unterteilte seinen Auftritt selbst in zwei Kategorien: In Stand-up und in Hochkultur. Bei Ersterem könne man sein geisteswissenschaftliches Studium vergessen, sagte er, und scheiterte gekonnt an der Aussprache von «geisteswissenschaftlich». Und tatsächlich endete gleich im ersten Stück Stand-up ein Deo-Roller in einem Arsch. Das war sehr lustig, wie auch der Rest des Stand-up Programms. Vetter hat wunderbare, skurrile Einfälle, kann erzählen und kann komische Geräusche machen. Es war Comedy auf hohem Niveau. Bemerkenswert ist aber, wie unfassbar gut Vetter war, als er zur «Hochkultur» wechselte, was konkret hiess, dass er einen Text vorlas. Auch dieser Text war humoristisch: den «kleinen, dicken Bub» liess er über seinen Wanst reden. Auf unverkrampfte Weise war der Text allerdings auch existentialistisch. In diesem Wanst befinden sich Erinnerungen. «Auf dass wir das Unkonservierbare zu erhalten wissen / auf dass wir selber zum Universum werden», hiess es an einer Stelle. Der kleine, dicke Bub, er wird dereinst alles mit ins Grab nehmen. In seinen Fettreserven. Das war Comedy auf höchstem Niveau. Wie es ist, wenn man nichts versteht «Nach Italienisch, das gleichzeitig Landes- und Migrationssprache ist, sind die häufigsten ausländischen Sprachen in der Schweiz Spanisch (6%), Portugiesisch (5%)», schreibt das Bundesamt für Statistik in einer Mitteilung von Anfang Oktober dieses Jahres. Spanisch und Portugiesisch waren die Sprachen im Fokus beim zweiten Teil des Werkauftrags «5. Landessprache» am diesjährigen «woerdz». Erstere wurde vertreten von der Argentinierin Mana Bugallo. Zweitere von Dércio Afonso da Silva, Künstlername Rêve, einem Walliser Rapper mit portugiesischen Wurzeln, sowie einem anderen jungen Rapper, dessen Name – Asche auf mein Haupt – für mich unauffindbar ist.

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Rêve, Mana Bugallo und der Mystery-Man

Die Rapper rappten. Wovon, das weiss ich nicht. Ich kann kein Portugiesisch. Musikalisch fand ich es durchaus ansprechend. Ich kann aber nicht über Musik schreiben. Das bringt mich hier in eine etwas unangenehme Situation. Ich kann sie höchstens zum Anlass nehmen, mir Gedanken darüber zu machen, wie es ist, wenn man nichts versteht. Es ist ärgerlich. Es gibt einem das Gefühl, da zu sein, aber nicht dabei. Es gibt einem das Gefühl, dass etwas passiert, aber man weiss nicht, was es ist – um hier einen Literaturnobelpreisträger zu zitieren. Mana Bugallo rezitierte einige Gedichte, zu einem guten Teil auf Spanisch. Ich kann auch kein Spanisch. Sie übersetzte einige wenige der Texte dankenswerterweise auf Englisch. Es ging einmal darum, als junges Mädchen von einem Mann nachgerufen zu bekommen: «You know how I’d lick that pussy?» Und darum, dass sie heute wüsste, wie sie darauf zu antworten hätte: «Poorly.» Es ging einmal um sexuelle Anziehung, wie es bei ihr eine Sache der Hirnplatine sei. «I speak nothing regarding the heart / to speak without knowing / is really rude.» So verstand ich doch ein bisschen etwas. Aber was auch Bugallos Auftritt vor allem zurückliess, war wieder das Gefühl, vieles verpasst zu haben. Wie ihre Texte funkelten, wenn sie sie auf Spanisch vortrug, das war etwas ganz anderes, als die Übersetzung. Ich weiss nicht, was zwischen den Sprachen verloren ging. Ich wüsste es aber gerne.