300 Jahre für nichts

Rathausbühne Willisau, 20.01.2018: In «Hexe!» reisen Knuth und Tucek durch Raum und Zeit: Eine düstere Vergangenheit holen sie zurück in die Gegenwart, hautnah ans Publikum heran. Dieses sieht eine scharfsinnige und spitzzüngige Satire auf die Schweizer Gesellschaft.

Man könnte es nicht ahnen, wenn man im idyllischen Städtchen Willisau durchs historische Untertor spaziert, doch: Auch das friedliche Luzerner Hinterland kennt dunkle Kapitel. So sei dort vor wenigen Jahrhunderten eine gewisse Barbara Schatzmann als Hexe zu Tode gefoltert worden. Im Namen des Bösen habe sie Kindsmord begangen – wohlbemerkt durch simples «Anblasen» eines Kindes. So erzählen es Nicole Knuth und Olga Tucek auf der Rathausbühne in ebenjenem Städtchen Willisau. Ihr Programm «Hexe!» von 2016 münzen die beiden hochdekorierten Kabarettistinnen (u.a. Salzburger Stier 2011) an diesem Januarabend in eine Geschichte um, die so in Willisau hätte stattfinden können. Im Zentrum steht jedoch niemand «Hiesigs». Aus dem fernen Zürich reisen drei Studierende der Kunsthochschule an. Ein Film soll gedreht werden, über die Hexenjagd in Willisau. Die deutsche Studentin Mara rückt dabei zwangsläufig in den Mittelpunkt: Ihre beiden Kollegen landen nämlich in Luzern statt in Willisau, und ketten sich dort aus Protest gegen die Sparmassnahmen kurzerhand an die Kapellbrücke.

Das ortskundige Publikum schaut und hört genüsslich zu, wenn die alleingelassene Mara Willisau erkundet. Denn Knuth und Tucek stellen laufend reale Bezüge zum Ort des Geschehens her: Die Bäckerei Gut findet ebenso Erwähnung wie das weltberühmte Jazzfestival, oder die immerhin schweizweit bekannten – «schliessmuskelförmigen» – Willisauer Ringli. Diese «Insider-Witze» mit dem Publikum unterhalten oberflächlich, holen die erzählte Geschichte aber auch näher an die Zuschauerinnen und Zuschauer heran. Denn bald wird es unheimlich: Mara begegnet im beschaulichen Alberswil der eingangs erwähnten «Hexe» Barbara Schatzmann. Unverhofft erlebt die Studentin die Hexenjagd aus erster Hand.

knuth tucek willisau

Geschickt verflechten Knuth und Tucek in «Hexe!» Vergangenheit und Gegenwart. Die Unterdrückung von Andersartigkeit, damals wie heute, wird ebenso angesprochen wie die Suche nach Sündenböcken oder der Reiz des Übersinnlichen. Verpönt ist der Aberglaube in einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft – doch wie weit weg von (dem Glauben an) Hexerei sind wir, wenn Esoterik und Verschwörungstheorien boomen? Für esoterische Praktiken wie die Mondesanbetung durch Frauen mittleren Alters «hätte man früher gebrannt», sind sich Knuth und Tucek jedenfalls sicher.

Eingebettet in die Geschichte des Bachelor-Filmprojekts findet in «Hexe!» eine Standortbestimmung der Schweizer Gesellschaft statt. Dies geschieht vor allem in der Erzählebene und sehr oft musikalisch. Im Gegensatz zur eher flachen Dramaturgie ist Musik die grosse Stärke und eigentliche Kernkompetenz von Knuth und Tucek. Nicole Knuth tanzt und wirbelt. Olga Tucek spielt ihr Akkordeon und trägt allein mit ihrer Mimik Grosses zum Humor des Programms bei. Mit Leib und Seele performen die Beiden ihre zynischen Hymnen und Balladen zum Schweizer Bünzlileben. Im Mittelstand wird dem Mittelmass gefrönt, und die Grenzen des Horizonts bleiben fein säuberlich ausgesteckt mit Gartenzäunen aus dem OBI-Baumarkt. Nicole Knuth und Olga Tucek beherrschen das Spiel mit den Stereotypen: Man lacht über die Hochschulstudentin mit Fjällräven-Rucksack oder die alteingesessene Willisauerin, die wegen dem erwähnten Rucksack befürchtet, Mara sei ein Flüchtling. Nur die Parodie auf zwei Jugendliche, welche konsequent Pronomen weglassen und jeden Satz mit «Mann!» beenden, hinterlässt einen schalen Nachgeschmack.

«Hexe!» kommentiert süffisant den Status Quo der Schweizer Gesellschaft und fragt, ob es früher wirklich schlechter war. Hexenjagden, die scheint es jedenfalls noch immer zu geben. Verfolgt wird man nach diesem Abend in der Rathausbühne aber nur von den ohrwurmigen Melodien von Nicole Knuth und Olga Tucek.